Die Kratzeburg
Heinrich von Scharffenstein war 1314 bis 1340 Burgmann zu Scharffenstein im Rheingau. Er war nach neueren Forschungen1 ein Nachkomme des 1239 genannten Volker von Starkenburg, der auch als Ahnherr der Wildburger gilt. Sein Sohn, ebenfalls Heinrich, war 1390 Burgmann daselbst, nannte sich aber Kratz von Scharffenstein. Dazu ist zu erwähnen, daß ein Heinrich Kratz (1287-1315) Keller- und Lehnsmann auf Starkenburg war. Auch ein Hugo, von Schmidburg (1286 - 1328) nannte sich Kratz. 1390 heiratete ein Heinrich Kratz von Scharffenstein eine Katharina, Tochter des Heinrich von Wildberg von Starkenburg. So waren diese drei Familien nach allen Seiten miteinander verwandt und verschwägert, so daß sie außerordentlich schwer im Ursprung zu entwirren sind.
1475 hatte Heinrich Kratz von Scharffenstein bereits den Enkircher Besitz zu eigen, denn im Schöffenbuch heißt es im selben Jahr „feltz under Junker Gratz hus". Der Name Kratz oder Cratz hat sich vermutlich aus einem Vornamen entwickelt; denn der bürgerliche Enkircher Kratz Jacob zahlt 1475 24 Gulden Bedesteuer. Auch erscheint ein Ludwig Cratz und ein Cratz Hengen (Heinrich). Cratzen trine (Katharina) erscheint 1514 im Schöffenbuch. Am 30. November 1504 wurde in Enkirch begraben: Junker Heinrich Kratz von Scharffenstein. Von 1531 bis 1549 war Philipp Kratz von Scharffenstein Oberamtmann in Trarbach. Er heiratete 1531 Anna von Schönenburg, die Tochter seines Amtsvorgängers. Er starb 1570. Auf seinem Gelände errichtete er ein burgähnliches Haus, das bis zum Dach in Stein gemauert war. Es enthielt einen großen Keller als Lagerraum für die anfallenden Weine. Der Keller war mit einem Kreuzgewölbe ausgestattet, in das eine römische Säule eingemauert wurde. Zu ebener Erde befand sich das Kelterhaus und im ersten Stockwerk -für damalige Zeiten im herrschaftlichen Stil - die Räume für den Hofmann und den Verwalter, der von hier aus auch das Anwesen in Hirschfeld verwaltete. Die Herrschaften der Kratz von Scharffenstein haben selbst nie hier gewohnt. Das im Jahre 1475 genannte Gelände zwischen der heutigen Krain-und Tempelstraße bis zur Mosel hatte Gräfin Loretta 1342 als sogenanntes „Heidengut" von Tielemann von Walen gekauft2. Die Weinberge und Ländereien dieses Gutes gab sie als fromme Schenkungen u. a. der Kirche von Enkirch (Teil des heutigen Pfarrgutes) und dem Kloster in Wolf, der späteren Schaffnei zu eigen. Als Frevlerin wegen des Bischofsfanges hatte sie sidh auf ihrer Reise zu Papst Johannes XXII. nach Avignon 1330 zu einer frommen Schenkung verpflichtet, die sie damit einlöste.
Das Heidengut mit dem Heidenhof bekam vermutlich ihr Vasall, Volker II. von Starkenburg, der als Hauptschuldiger beim Bischofsfang exkommuniziert worden war. Er war deswegen großen Unannehmlichkeiten ausgesetzt, und es sollte,diese Schenkung für ihn eine Art Wiedergutmachung sein. „Heidengut" wurde es deswegen genannt, weil es im Bereich einer umfangreichen römischen Ruine mit vielen Säulenresten, dem sogenannten Tempel, lag. In der Annahme, die Römer seien während ihrer ganzen Epoche Heiden gewesen, nannte man das Besitztum „Heidengut" mit dem „Heidenhof". Da in der Bibel der Begriff „Säule" meist in Verbindung mit einem Tempel genannt wird, vermutete man an dieser Stelle wegen der vorgefundenen Säulenreste einen römischen Tempel. Es könnte sich aber hier auch um einen säulenbestandenen Portikus einer römischen Villa gehandelt haben. Der Flurname „Im Tempel" ist über 500 Jahre nachweisbar und hat sich bis in die Gegenwart erhalten. Beim Neubau des Kellers des Ravengiersburger Hofes 1823 wurden weitere vier Säulen eingebaut, während der Rest gänzlich von der Bildfläche verschwunden ist. Es handelt sich um Syenitsäulen aus dem Steinbruch Felsberg im Odenwald, wie sie auch in konstantinischer Zeit 306 bis 337 n. Chr. beim Bau des Trierer Domes verwendet wurden. 1884 ist beim Bau einer Kellerei alles zerstört worden. Da viele Moselreisende das Vorhandensein dieser Säulen als besondere Sensation empfanden, ist mehrfach darüber berichtet worden, wie alten Aufzeichnungen zu entnehmen ist. Die Vernichtung der wertvollen Altertümer wurde von der Einwohnerschaft verurteilt.
Die Familie Kratz von Scharffenstein hatte in der hiesigen Kirche den Stephansaltar dotiert und war auch mittlerweile in den Grafenstand erhoben worden. Nach der Reformation zogen sie die DotationsWeinberge wieder an sich, da keine Messen mehr gelesen wurden und die Altaristen überflüssig geworden waren. Da sie die Reformation nicht freudigen Herzens mitmachten, wurden sie Kurtrierische Amtmänner. Das Geschlecht ist nach 1770 ausgestorben, und die Besitzungen gingen durch Erbschaft an Solms-Rödelheim.
Die Eintragung im Kellereibuch des Oberamtes Trarbach von 1783, Seite 210, lautet wörtlich: „Der Gräflich Cratzische Hof welcher den Gräflich Solms-Rödelheimischen Leiningen Heidesheimischen und Kolb von Wartembergischen Häusern gehört und wozu das Dorf Hirschfeld nebst anderen in benachbarten Fürstlichen Dörfern wohnende Unterthanen, Leibeigene und Fronbare sind, hat einen ungemein großen Hof, Hofgering und Garthen wobey der römische Tempel gestanden ist wovon noch sehr viele Rudera (Ruine) und prächtige Säulen übrig sind."
1797 hatte Solms-Rödelheim noch einen Weinbergsbesitz von 29 600 Stock, von denen 22 400 durch den Hofmann bebaut wurden und 7200 Stock als Lehen ausgegeben waren. Dieses Gut wurde vom französischen Staat 1802 säkularisiert und am 28. Dezember 1803 in Koblenz versteigert.
Der ganze Hof mit l ha, 65 ar, 20 qm Weinbergen wurde in Kommission von einem Saravey für 5050 Franken ersteigert und in drei Teile aufgeteilt. Die Kratzeburg bekam der in Enkirch von der französischen Verwaltung eingesetzte Maire Schetter. Den Heidenhof erhielt Anton Bretz und das Backhaus (heute Hill + Lamberti) die Bürger Peter Rink, Seiler, und Peter Caspari, Zimmermann.
1 Prof. Disselnkötter, S. 65.
2 Urkunde in den Heimatstuben, Enkirch